Der Historiker Heinrich August Winkler hat dem Portal «Watson» ein lesenswertes Interview gegeben. Er ist einer der bedeutendsten deutschen Historiker. Im Gespräch wird auch thematisiert, dass nun allenthalben vom «Ende des Westens» die Rede sei.
Heinrich August Winkler sagt dazu:
«Wir wissen nicht, wie lange Trump und die Trumpisten in den USA an der Macht sein werden. Es ist gut möglich, dass sich schon bei den Zwischenwahlen im November nächsten Jahres eine Wende abzeichnet. Vom Ende des Westens zu sprechen, halte ich für einen Ausdruck von vorauseilendem Fatalismus.»
Der Historiker fordert eine engere Zusammenarbeit der «im weitesten Sinne liberalen Demokratien des Westens» um die Ära Trump zeitlich zu überbrücken. Eine «Koalition der Willigen» um Frankreich, Grossbritannien, Deutschland und Polen werde sich fester als bisher organisieren müssen.
Vom «Ende des Westens» zu reden ist vorauseilender Fatalismus
Heinrich August Winkler hält auch die USA unter Trump nicht für endgültig verloren»
«Trump ist ein zutiefst illiberaler, autoritärer und nationalistischer Politiker, der dabei ist, die Grundlagen des amerikanischen Rechtsstaates zu zerstören. Die USA in eine faschistische Diktatur zu verwandeln, würde ihm aber, selbst wenn er es wollte, kaum gelingen. Dafür ist die Freiheitsliebe der Amerikaner zu stark entwickelt.»
Quelle:
«Es würde Trump nicht gelingen, die USA in eine faschistische Diktatur zu verwandeln» (Watson)
Heinrich August Winkler wendet sich gegen «die deutsche Neigung zum Pessimismus», wenn er sich weigert, schon das «Ende des Westens» einzuläuten. Seine Zuversicht ist zwar ermutigend. Allerdings beruht sie auf Voraussetzungen, die nicht selbstverständlich sind:
- Die «Koalition der Willigen» muss geeint und stabil bleiben. Frankreich und Grossbritannien sind aber politisch in vielerlei Hinsicht blockiert und finanziell hoch verschuldet. Polen sieht zwar den Ernst der Lage hinsichtlich des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ein und rüstet glaubwürdig auf. Das Land ist aber hochgradig polarisiert und die durch Verschwörungstheorien geprägte, rechtspopulistische PiS hat zwar Probleme, ist aber noch lange nicht weg vom Fenster. Und sollten in Deutschland AfD und DIE LINKE stärker werden, kann das zu Blockaden in wichtigen Themenfeldern führen.
- Die Hoffnung, dass Trump und sein MAGA-Kult in den Zwischenwahlen im November 2026 an Macht verlieren setzt voraus, dass es dann freie und faire Zwischenwahlen gibt. Das ist keineswegs sicher.
Die europäischen Demokratien – dazu gehört auch die Schweiz – müssen also dringend ihre Hausaufgaben machen. Das ist nicht nur eine Forderung an Politikerinnen und Politiker. Auch die Bürgerinnen und Bürger müssen aufhören, jedem grossmäuligen Narzissten hinterherzulaufen. Sie müssen sich klar machen, was auf dem Spiel steht. Demokratie, Rechtsstaat, Aufklärung und Universalismus müssen entschieden verteidigt werden. Auch in der Auseinandersetzung mit Schein-Demokratien. Nur so lässt sich vermeiden, dass wir in grossen Schritten auf ein «Ende des Westens» zugehen.
Siehe auch:
Scheindemokratien – ihre typischen Merkmale
Aufklärung – ihre Bedeutung für die Entwicklung der Demokratie
Autoritarismus als antidemokratische Einstellung
Universalismus – seine Bedeutung für die Demokratie
Debattenkultur in der Demokratie
Demagogie als Gefahr für die Demokratie
Desinformation als Gefahr für die Demokratie
Differenzverträglichkeit – eine Grundvoraussetzung der Demokratie
Dummheit als Gefahr für die Demokratie
Demokratie – ihre typischen Merkmale
Rechtsstaat – seine typischen Merkmale
Identitätspolitik versus Universalismus
Identitätspolitik unterminiert Demokratie und Rechtsstaat
Rechtspopulismus – seine wichtigsten Merkmale